Christlicher Fundamentalismus

"Die Freiheit preisen und Lust aufs Denken machen" 

Debatte über den christlichen Fundamentalismus bei "Punktsieben", 
dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf  

Walldorf, 5. April 2009. "Fundamentalismus: Das ist selbstverschuldete Unmündigkeit." Diese provokante These setzte Marianne Falkner dem Podium vor. Christlicher Fundamenalismus war das Thema der Diskussion, die "Punktsieben", eine Initiative der evangelischen Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei Walldorf veranstaltete. 

Im vollbesetzten Saal des evangelischen Gemeindehauses sprachen Jörg Vins vom Südwestrundfunk, Lothar Bauerochse vom Hessischen Rundfunk, Werner Schellenberg, evangelischer Dekan im Ruhestand und Berthold Enz, katholischer Pfarrer in Wiesloch. Klaus Bruckner von der "Punktsieben"-Projektgruppe begrüßte die Besucher und führte durch den Abend. Marianne Falkner, stellvertretende Direktorin des Gymnasiums Walldorf, moderierte die Diskussion. Sie zeigte sich misstrauisch gegenüber fundamentalistischen Strömungen, und auch im Publikum sahen manche darin eine destruktive Kraft, wie bei der späteren Fragerunde offenbar wurde. 

Jörg Vins, der Konflikte mit Fundamentalisten innerhalb der katholischen Kirche schilderte, hielt dieser Auffassung ein positives Beispiel gegenüber. Franz von Assisi nämlich habe die Kirche zurecht aufgerufen, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Werner Schellenberg, der von erschreckenden Erlebnissen mit protestantischen Fundamentalisten in den USA erzählte, nannte Martin Luther King, der aus seinem Glauben die Kraft gewonnen habe, gegen Rassismus zu kämpfen. 

Er habe evangelikale Gottesdienst erlebt, die mit großer emotionaler Wucht gestaltet wurden, erzählte Schellenberg. Unter den Gläubigen sei geradezu eine "Massenpsychose" ausgelöst worden. Lothar Bauerochse, der das Thema aus protestantischer Sicht anging, gab Schellenberg hierin recht und fügte an, dass im Zentrum der erregten Emotionen der charismatische Führer der Gemeinde stehe. 

Was Fundamentalisten motiviere, sei ihre Angst, meinte Jörg Vins. Angst vor dem offenen Dialog mit Andersdenkenden, davor, dass ihr Glaube in Frage gestellt werden könnte. Pfarrer Enz stimmte zu. Fundamentalisten fürchteten sich vor dem "strafenden" Gott, suchten Sicherheit und endgültige Wahrheit. Sie klammerten sich an die Worte der Bibel oder die kirchliche Tradition und "versteinerten", sagte Enz, dabei sei Wandlungsbereitschaft im Glauben wesentlich. 

Unter Fundamentalisten in der katholischen Kirche sei das zweite Vatikanische Konzil umstritten, erklärte Jörg Vins. Dabei habe sich die katholische Kirche unter anderem dem Judentum geöffnet und sei auch mit Protestanten in Kontakt getreten. Man habe anerkannt, dass auch bei anderen Glaubensrichtungen Wahrheiten zu finden seien, so Vins. Berthold Enz sagte, er habe das zweite Vatikanische Konzil als "Befreiung" empfunden, er bekenne sich rückhaltlos dazu. Doch manche Menschen, so Vins, hätten sich nach dem Konzil in der Kirche nicht mehr zu Hause, nicht mehr sicher gefühlt, und hätten sich fundamentalistischen Gruppierungen zugewandt. 

Das Podium war sich einig, dass man mit Fundamentalisten gleich welcher Art in Dialog treten müsse. Wenn man versuche, Fundamentalisten zu bekehren, so Jörg Vins, begebe man sich ja auf deren Ebene. Pfarrer Enz räumte ein, dass ein Austausch schwierig sein könne, nicht nur, weil Fundamentalisten meist von ihren Ansichten absolut überzeugt seien. "Wir müssen uns von ihnen fragen lassen, was unsere Fundamente im Glauben, im Leben sind", gab Enz zu bedenken. 

"Was fehlt bei uns, dass es die Leute zu denen zieht", überlegte Werner Schellenberg. Womöglich seien es das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinde und die lebendigen Gottesdienste. Davon könne man vielleicht lernen, meinte er. Für ihn zeichnet Vielfalt die Kirche aus, Offenheit und Kommunikation. 

Berthold Enz hält es diesbezüglich mit Paulus. "Prüfet alles, das Gute behaltet". Er könne mit den Traditionsbewussten leben, "solange sie mir ihren Glauben nicht aufdrängen". Fundamentalisten seien vielleicht ein Stachel im Fleisch, aber "davon könnten wir uns zu tollen Leistungen beflügeln lassen". 

Jörg Vins meinte, dass fundamentalistische Strömungen in Deutschland nicht so stark seien, weder bei Protestanten noch Katholiken. In den USA seien Evangelikale so stark, dass sie die Politik mitbestimmten, so Lothar Bauerochse, doch in Deutschland seien sie allenfalls eine Randerscheinung, aber keine Gefahr für den Staat. Und er kenne bei Fundamentalisten ein "Gegengift", meinte Bauerochse, die Aufklärung: "Wir müssen den Gebrauch der Freiheit preisen und Lust aufs Denken machen."

Der globale Countdown

Es gibt Grund zur Hoffnung auf eine friedliche Globalisierung 
Bei "Punktsieben" in Walldorf hielt Journalist Harald Schumann einen spannenden Vortrag über den "globalen Countdown"

 

"Wir haben gute Chancen auf eine gerechte Weltgesellschaft", sagte Harald Schumann, Redakteur bei der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel". Bei "Punktsieben", dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, referierte er zum Thema "Der globale Countdown – Weltweite Kooperation oder globalisierte Katastrophe?"

Zu Anfang sagte Harald Schumann, dass es vor etwa 100 Jahren bereits eine Globalisierung gegeben habe. Dieser Prozess sei gescheitert und habe in der Katastrophe der beiden Weltkriege gemündet. Dass Derartiges wieder passieren könnte, scheine nur auf den ersten Blick ausgeschlossen. Die enge wirtschaftliche Verflechtung der Nationen, die so genannte "Interdependenz", bedeute, dass sich niemand einen großen Krieg leisten könne.

"Unsere Welt ist reich", betonte Schumann. So reich, dass eigentlich niemand mehr an Nahrungsmangel oder fehlender medizinischer Versorgung sterben müsse, und damit falle die wichtigste Ursache für Konflikte weg. Es gebe keine technologischen oder natürlichen Hindernisse für einen globalen Frieden, "und es wird Zeit, eine Utopie zu entwickeln, die alle Menschen anspornt".

Das Problem sei die ungerechte Verteilung des Wohlstands, erläuterte Schumann. Die Politik scheitere seit Jahrzehnten weltweit daran, die "Ressourcen und Lebenschancen" fair zu verteilen. Das Gesamtvermögen sei von unten nach oben verteilt worden, Unternehmen erwirtschafteten gewaltige Gewinne, die Reallöhne der Arbeitnehmer hingegen stiegen nicht, soziale Spannungen seien die Folge. Mindestens eine Milliarde Menschen sei ausgegrenzt, krank, ausgehungert, ohne die geringste Chance auf ein besseres Leben. Und Verzweiflung sei der Nährboden für Fanatismus und Krieg.

Eine weitere Gefahr für den Frieden sei die Instabilität des globalen Finanzsystems. Die aktuelle Krise sei viel ernster, als man allgemein denke, und noch lange nicht ausgestanden. Die eifrige Lobbytätigkeit der Finanzindustrie, die blindlings ihre Macht zu bewahren suche, behindere die Politik bei der Umsetzung wirksamer Maßnahmen. Das "Primat der Politik" müsse wiederhergestellt werden, forderte Schumann.

Mit die größte Gefahr für eine friedliche Globalisierung sei der Klimawandel. Der könne sich, wenn die Menschheit nichts unternehme, noch beschleunigen, zu Hungersnöten und Trinkwassermangel führen, sodass gewaltige Flüchtlingsströme – etwa aus Asien, auch aus Afrika – ausgelöst würden. Diese seien politisch nicht mehr kontrollierbar, große Kriege die unausweichliche Folge.

Trotz allem sah Harald Schumann Grund zur Hoffnung, etwa angesichts vieler privater Initiativen, die der unfairen Verteilung des Wohlstandes entgegenwirkten. "Die warten nicht auf die Politik, sie werden selbst aktiv", lobte Schumann. Eine friedliche und konstruktive "Globalisierung von unten" sei bereits im Gange. Als er die große Hilfsbereitschaft skizzierte, die viele Menschen zeigten, hielten viele Zuhörer seine Utopie für greifbar und bekamen eine Gänsehaut. An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Es ging unter anderem darum, massiv Aufklärung zu betreiben, damit gerade junge Leute auf die Zukunft vorbereitet seien. Den Kirchen komme eine wichtige Rolle bei der Globalisierung zu, erklärte Harald Schumann. Sie seien gut vernetzt und könnten viele Menschen mobilisieren.

Eine Antwort, wie genau man den Finanzmarkt kontrollieren könne, hatte Schumann nicht. Man müsse eine internationale Finanzaufsicht einrichten, meinte er. Wichtig sei, dass es keine regelfreien Zonen mehr gebe. Die Grundregeln soliden Bankings müssten überall angewendet werden. Zudem müsse der Internationale Währungsfonds umstrukturiert werden, sodass er die wahren Machtverhältnisse widerspiegele und die Beteiligten "auf Augenhöhe" miteinander verhandeln könnten. Die Wichtigkeit des bürgerlichen Engagements betonte Schumann mehrfach. Man müsse die Politiker davon abhalten, faule Kompromisse einzugehen mit jenen, die am Status quo gut verdienten. Es komme auf jeden Einzelnen an: "Wir müssen endlich unseren Arsch hochkriegen, sonst ändert sich nie etwas." (seb)