Klimawandel und Klimapolitik

punkt sieben – Rückblick auf die Veranstaltung "Klimawandel" 

"Das haben wir noch nie erlebt in der Menschheitsgeschichte: dass wir auf jeden Einzelnen angewiesen sind." Über den Klimawandel und die Anforderungen an die Klimapolitik sprach Professor Eberhard Jochem vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe bei "Punktsieben" im evangelischen Gemeindehaus Walldorf. Er ist ein international anerkannter Wissenschaftler, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Mitglied des Weltklimarates und langjähriger Berater der Bundesregierung. Joachim Schleich von der Punktsieben-Projektgruppe stellte ihn und das Thema eingangs vor. Auf einem Tisch lagen Infobroschüren der Stadtwerke Walldorf und ausgewählte Fachliteratur aus der Stadtbücherei. 

Eberhard Jochem hat keinen Zweifel am Klimawandel. Die Menschheit stehe vor der Wahl, das Klima zu schützen oder sich an die kommenden Veränderungen anzupassen. Deutschland und Europa seien reich genug, beide Wege zu gehen. Die Entwicklungsländer treffe der Klimawandel aber härter, was Wetterextreme wie Dürren angehe. Ihnen fehle zudem das nötige Know-how und sie seien zu arm, um dem entgegenzuwirken. Es drohe der Kampf um Trinkwasser und andere Ressourcen: "Wenn wir den Klimawandel zulassen, erzeugen wir Gewalt." Er zitierte die Propheten Jeremia und Amos, um seine Position deutlich zu machen.

Energie-Effizienz ist Jochem zufolge der Schlüssel. Anschaulich erläuterte er, wie viel Energie nutzlos verpufft, im Kraftwerk, Auto und Haushaltsgerät, beim Heizen oder Kühlen eines Gebäudes. Jeder Einzelne sei gefordert, sein Verhalten zu ändern. 

Gerade durch den weltweiten Bevölkerungszuwachs und den Wunsch nach mehr Wohlstand sei höhere Effizienz unabdingbar: "Wir brauchen alle Technologie, die wir uns vorstellen können – und mehr." Auch Kernenergie sollte weiter genutzt werden, so Jochem, um den Kohlendioxidausstoß zu senken. Erneuerbare Energien müsse man ausbauen und das Kohlendioxid der Atmosphäre auffangen und beispielsweise im Boden speichern. Er riet auch zu "Ablasshandel" mit Emissions-Zertifikaten, mit denen Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden. 

Den Argumenten der Unternehmen, Klimaschutz sei zu teuer und verschlechtere ihre Wettbewerbsposition, begegnete Jochem, indem er auf die Schäden durch den Klimawandel und die Chancen verwies, die innovative Produkte auf dem Markt haben – gerade, falls es eine durchdachte Klimapolitik gebe. Mit dem bisherigen Vorgehen der Bundesregierung war der Klima-Experte aber nicht zufrieden, die "Abwrackprämie" hielt er nicht für klug. "Typisch Politiker: hat fast keine Ahnung, aber ein Problem." 

Eberhard Jochem hatte unbequeme Fragen an jeden im Publikum: Ob man wirklich mit dem "Zwei-Tonnen-Panzer" (SUV) zum Bäcker fahren müsse; ob 60 PS nicht ausreichten; ob man täglich 20 Minuten heiß duschen, die Kleidung nach ein Mal Tragen sofort waschen müsse; ob man jeden Tag Fleisch essen müsse. Unser Denken sei meist egozentriert, von kurzfristigen Moden und der Werbung beeinflusst und ohne Verantwortung, meinte er. "Wir bräuchten einen schadensantizipierenden Wähler", der handle, bevor die Katastrophe geschehe, und die Politik zum angemessenen Verhalten zwinge. Im Ruhrgebiet sei das gelungen, nannte Jochem als Beispiel, die Leute dort wollten "den blauen Himmel sehen", und Staub und Schwefel seien aus der Luft verschwunden. Das müsse auch heute wieder geschehen, in größerem Maßstab, "nur so beherrschen wir die Klimaerwärmung". 

Im Anschluss an den Vortrag wurden dem Referenten schwierige Fragen gestellt, erst von Christoph Dressler, Ruth Feine und Holger Lehmann von der Punktsieben-Projektgruppe, anschließend von Zuhörern. Überraschend nannte Eberhard Jochem positive Entwicklungen in Wirtschaft und Politik, die durch Einsicht sowie auf Druck der Wähler und Kunden geschahen. "Wir sind auf einem guten Weg, wenn Sie auch sagen könnten: zu langsam." 

Zum Schluss erhielt er ein Präsent. Er habe auf sein Honorar verzichtet, erklärte Joachim Schleich, und vorgeschlagen, es in einen Fonds zu investieren, um die Wärmedämmung der Kirche zu verbessern.  (seb)

Mit Gott gegen Darwin

"Ein Gott lediglich als Lückenbüßer ist mir zu wenig"

Pfarrer Dr. Hubert Meisinger referierte bei Punktsieben in Walldorf zum Thema "Mit Gott gegen Darwin?" – Rege Diskussion

"Wir wollen den Ausschnitt der Wirklichkeit erweitern, den wir sehen. Glaube und Wissenschaft gemeinsam ergeben ein vollständigeres Bild. Mein Anliegen ist, beide Bereiche in Verbindung zu bringen." Zum Thema "Mit Gott gegen Darwin?" sprach Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, Vize-Präsident der European Society for the Study of Science and Theology (Esssat). Er beschäftigte sich vordringlich mit dem scheinbaren Konflikt zwischen Religion und Naturwissenschaft und streifte die aus den USA stammenden Bewegungen "Kreationismus" und "Intelligent Design". An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Der Saal des Gemeindehauses war voll besetzt. Dr. Ralf Tolle von der Punktsieben-Projektgruppe begrüßte die Gäste und betonte die Bedeutung von Darwins Hauptwerk "On the origin of species", das ein "intellektuelles Erdbeben" mitten im Spannungsfeld von Glauben und Wissenschaft darstellte. Hubert Meisinger stellte Charles Darwin kurz vor und schilderte, wie die Evolutionstheorie entstand und weiterentwickelt wurde. Auch nannte er Beispiele für Aspekte der Theorie, die noch weiter ausgearbeitet werden müssen.

 

Diese Lücken, eigentlich all die komplexen Dinge, die die Wissenschaft (noch) nicht erklären kann, nähmen religiöse Bewegungen wie Intelligent Design als Ansatzpunkt, um zu behaupten, es gebe einen "Designer", ein intelligentes Wesen, das schöpferisch eingegriffen hat. Auch wenn die Vertreter von Intelligent Design nie von Gott sprächen, sei er doch gemeint. Und so ein Gott, der nur dort existiere, wo die Wissenschaft gerade keine Antworten habe, sei lediglich ein "Lückenbüßer", so Meisinger. "Und so ein Gott ist mir zu wenig". Nicht alles, was die Wissenschaft nicht beantworten kann, bedürfe einer höheren Intelligenz als Erklärung, sagte Meisinger. Intelligent Design sei in seiner suche nach simplen Erklärungen ein "völlig naives Weltbild". Die Vertreter kämen nicht damit zurecht, dass es eben Fragen gebe, auf die man womöglich nie eine Antwort finde. "Lassen wir doch auch mal etwas offen, das ist doch fantastisch", schlug Meisinger vor.

  

Andererseits stelle sich mit Kreationismus oder Intelligent Design die berechtigte Frage, wieso sich die Religion denn von der Wissenschaft in Nischen zurückdrängen lassen sollte. Man könne auch zu liberal sein und dann bewege sich die Religion zu weit von den existenziellen Fragen weg, die sich die Menschen stellten, beispielsweise was das Leben nach dem Tod betreffe. Die Theologie sei notwendig, so Meisinger, weil sie methodisch reflektiere, was Glaube und Religion beinhalteten. Von fundamentalistischen Christen wie von manchen aggressiven Atheisten werde die historisch-kritische Deutung der Bibel völlig ignoriert. So komme es auf beiden Seiten zu abwegigen Behauptungen. Ein Problem der Theologie ist laut Pfarrer Meisinger, dass aktuelle theologische Debatten nicht für ein breites Publikum aufgearbeitet und verbreitet werden. In Buchhandlungen finde man jede Menge wissenschaftlicher Publikationen, aber kaum theologische. Für Meisinger dreht sich die zentrale Frage um das Gottesbild. Für ihn ist Gott "in der Fülle des Lebens". Er wirke nicht nur bei Geburt und Tod, nicht nur beim Entstehen des Universums und am Ende, sondern ständig. Und er bleibe nicht ewig derselbe, sondern wandle sich. Der Mensch sei das einzige Geschöpf, das über Gott nachdenke, "sich von ihm berührt fühlt und sich über ihn ärgert". An dieser Stelle gab er einem Gast Recht, der aus dem Koran zitierte. Deshalb sei der Mensch aber nicht "besser" als seine Mitgeschöpfe, betonte Meisinger, mit Blick sowohl auf religiöse als auch auf wissenschaftliche Tendenzen. Er sehe den Menschen als "Mitspieler im Orchester", nicht als Dirigent, so Meisinger. Abschließend plädierte er für den gleichberechtigten Dialog zwischen Religion und Wissenschaft. Er selbst finde beispielsweise nicht, dass die Religion der Wissenschaft überlegen sei. Man müsse vermeintliche Widersprüche zusammendenken, "das ist der Ansatz, der mir gefällt".

Wie Pfarrer Klaus Bruckner von der Punktsieben-Gruppe erklärte, wird man eine Arbeitsgruppe bilden, die Fragen zu diesem Thema näher behandeln soll. Die Gruppe werde aus Biologen und Theologen bestehen, sagte er. Auch Punktsieben sei für den Dialog, sowohl auf wissenschaftlicher als auch religiöser Seite gebe es "viel Nachdenkenswertes".

 

Nachdenkens wertes- Ansätze für einen Dialog zwischen Naturwissenschaft und Glaube

Nach Ansicht des Punktsieben- Referenten Dr. Hubert Meisinger werden Glaube und Theologie in vierfacher Weise durch die Evolutionstheorie erschüttert, könnten aber auf diese Herausforderungen- statt abwehrend- in neuer Weise kreativ reagieren:

Erstens führt die Evolutionstheorie zur Entthronung des Menschen. Der Mensch ist nicht mehr "Ebenbild Gottes", sondern primär Tier unter Tieren, "Ebenbild des Affen". Theologisch lässt sich dieser Gedanke weiterführen mit den folgenden Fragen: Könnte nicht diese grundsätzliche Verwandtschaft aller Geschöpfe für uns Menschen zu einem Anlass tiefen religiösen Erlebens werden aus der Einsicht, dass in allen Lebewesen etwas von uns lebt und leidet? Könnten nicht auch Naturwissenschaftler auf einer tieferen Ebene – falls sie deren Möglichkeit anerkennen –den Menschen als einen Übergang zu etwas Neuem verstehen und damit sich selbst als Person offen halten für einen möglichen Transzendenzbezug?

Zweitens entzaubert Naturwissenschaft zunehmend das religiös verstandene "Geheimnis der Schöpfung", weil sie die Welt erklärt ohne ein Ziel, ohne Telos und damit ohne Ausrichtung auf einen letzten Zweck oder Sinn. Eine anschließende theologische Überlegung wäre: Ist nicht die menschliche Fähigkeit, die Welt mit Hilfe der Vernunft zu erkennen, ein Hinweis darauf, dass die objektive Wirklichkeit, die Welt selbst, voll Rationalität ist? Menschen produzieren z. B. aus sich selbst heraus eine mathematische Sprache und stellen dann fest, dass diese Sprache mathematischer Formeln geeignet ist, die Natur zu beschreiben. Lässt sich diese "epistemische" Anpassung des Menschen an das Universum durch biologisch bedingte Anpassung allein erklären? Oder sind wir Menschen durch die Entwicklung des Großhirns in einen Raum eingetreten, der die biologische Evolution übersteigt (transzendiert), weil sie uns in der Wirklichkeit eine Ordnung erkennen lässt, die uns verwandt ist? Ist vermeintlich sinnloses Spiel des Zufalls darauf aus, einen umfassenden Sinn zu erschließen? Allerdings wäre zu fragen, ob das den oft blutig –grausamen "struggle for life" in der Natur rechtfertigt.

Die dritte Erschütterung von Glaube und Theologie besteht darin, dass die gesamte christliche Ethik der Nächstenliebe untergraben wird, wenn Mitmenschlichkeit als Illusion entlarvt wird. Meisinger hält hier mit seinem Lehrer Theissen daran fest, dass das biblische Liebesethos, das in der Feindesliebe gipfelt, "antiselektionistisch" sei. Die christliche Grundhaltung ist rein naturwissenschaftlich gesehen nur schwer erklärlich und ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie dem Übergang von rein biologischer Evolution zur kulturellen Evolution zugeordnet wird. Ist das Angebot der Ethik der Feindesliebe vielleicht ein Hinweis auf die Evolution der menschlichen Kultur bzw. die "Evolution der Liebe"?

Die vierte und schwerste Erschütterung versetzt die Naturwissenschaft der Theologie, wenn sie die Welt durchgehend ohne Gott erklärt. Damit ergäbe sich für die Theologie die Aufgabe, das traditionelle Bild von Gott zu überdenken bzw. Gottes Wirken in der Welt in neuer Weise zu sehen.

Könnte die Theologie hier an das von vielen bedeutenden Naturwissenschaftlern formulierte "Staunen" über die Ordnung der Natur verweisen? Gemeint ist damit die Erfahrung, dass es auch über das wissenschaftlich Zugängliche hinaus eine Ahnung der Transzendenz geben kann. Oder ist Gott doch nur eine Hypothese, die auch dann mehr positive als negative Auswirkungen auf die Lebenden hat, wenn sie falsch ist? Oder ist die Hypothese(Gott) richtig und die Liebe wäre eine Ahnung von dem, was sein könnte, wenn die Hypothese richtig ist?

Alle vier Punkte wären Ausgangsfragen für einen weiterführenden Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Punktsieben wird versuchen im kommenden Jahr zu einem vertiefenden Gespräch in Kleingruppen einzuladen.