Die arabische Revolution

Hamed Abdel-Samad referierte bei „Punktsieben“ über Chancen und Gefahren der „arabischen Revolution“

„Ich klinge pessimistisch und kritisch, aber ich würde nie kritisieren, wenn ich nicht an die Menschen glauben würde.“ Mit Hamed Abdel-Samad, Autor, Historiker und Politikwissenschaftler, hat „Punktsieben“, das Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, gemeinsam mit Stadtbücherei und Buchhandlung Föll, einen sympathischen Referenten gewinnen können. Sachkundig und mit einer Prise Selbstironie sprach er im voll besetzten Saal des evangelischen Gemeindehauses über die arabische Revolution. Eingangs stellte er sich im Interview mit Mathias Pütz vom Punktsieben-Team näher vor. Als Kind eines ägyptischen Imam sei er in einer abgeschotteten Welt aufgewachsen, erst das Studium der englischen und französischen Literaturwissenschaft habe „ein Fenster geöffnet“. Wegen seiner Fragen „in Bezug auf Herrschaft und Religion“ sei er mehrfach verhaftet worden. Und daher sei er nach Deutschland gekommen: für „Freiheit ohne Zensur und Schikanierung“, um „zu sagen, was ich denke, ohne Angst haben zu müssen“. Auch in Deutschland hatte der Autor nach Anfeindungen Polizeischutz benötigt. Doch die Drohungen hätten abgenommen, „weil ich nicht gekuscht habe“, so Abdel-Samad.

Die Aufstände in Ägypten Anfang 2011 haben bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Am ersten Tag seien es noch rund 30 000 gewesen, aber am dritten hätten rund 18 Millionen Menschen in 23 Provinzen, in über 300 Städten, revoltiert. „Fast ein Wunder“ sei, dass kein Polizist gestorben sei: Obwohl rund 1000 Demonstranten umkamen, sei die Menge nicht gewalttätig geworden. „Das hat mich seit langer Zeit wieder stolz gemacht, dass ich Ägypter bin.“ Für Hamed Abdel-Samad sei diese Gewaltlosigkeit „ein zivilisatorisches Potenzial, das Ägypten braucht“. Diese Aufstände seien aber nur eine „Erschütterung“, allenfalls ein Anfang, „die Krankheiten dieser Gesellschaft liegen tiefer“. Ein Aufstand sei „keine Tugend an sich“, so Abdel-Samad, der Ausgang einer Revolution sei „immer offen“. Nach der langen Stagnation „unter dem eisernen Deckel der Diktatur“ hätten Ägypten und auch die anderen islamisch-arabischen Länder sich nicht weiterentwickeln können. Sie seien nicht zusammengewachsen und daher erwarte er, dass lange schwelende Konflikte nun ausbrechen: in Syrien beispielsweise, sobald Assad gestürzt worden sei. Auch die Situation von Kopten in Ägypten oder Frauen in der islamischen Gesellschaft sei nicht besser geworden. 

In seinem Vortrag machte Abdel-Samad deutlich, dass die islamisch-arabischen Länder nun Zeit benötigten, um sich zu entwickeln. Er sprach über die Gefahr, dass Islamisten „zum trojanischen Pferd“ für entstehende Demokratien werden, plädierte für eine engere Zusammenarbeit zwischen Europa und der arabischen Welt und sprach sich vehement gegen Waffenlieferungen etwa an Saudi-Arabien aus. Mit historischen Rückblicken erläuterte er, dass gerade bezüglich der Bildung eine „Asymmetrie“ zwischen Europa und der arabischen Welt herrsche. Daher rühre das Gefühl, „man redet aneinander vorbei und versteht nicht, wie die andere Seite tickt“. „Mich als Islamkritiker zu bezeichnen, ist ein Mediengag“, erklärte Abdel-Samad. Er sei Gesellschaftskritiker, ob in Deutschland oder Ägypten, er kritisiere stets nur politische, soziale oder juristische Aspekte einer Religion. Er betonte: „Ich kritisiere, wenn Religion in Dogmatismus mündet, sich über andere Gruppen der Gesellschaft erhebt und Privilegien beansprucht.“ Religion sei ein wichtiger Teil der Gesellschaft, „sie darf aber nie der bestimmende Teil sein“. Für die arabische Welt bedeute dies, dass der Koran, gerade die „Göttlichkeit“ des Textes, hinterfragt werden müsse. Eine Demokratie auf Basis des Islam könne schon deshalb nicht Bestand haben, weil im Islam „Gott der Gesetzgeber“ sei und diese Gesetze „nicht verhandelbar und unveränderlich“ seien. Auch die Position liberaler Muslime, die Islam und westliche Demokratien versöhnen wollen, sah er nicht unkritisch: „Wieso brauche ich den Koran, um Selbstverständlichkeiten wie Menschenrechte zu legitimieren?“ In der anschließenden Diskussion wurde er nach dem Zusammenleben mit Muslimen im Ort und nach der Reformfähigkeit des Islam gefragt. „Ich glaube an die Entwicklungsfähigkeit der Menschen“, betonte er, daraus schöpfe er Mut. - Eingangs hatte Klaus Bruckner von „Punktsieben“ die Anwesenden begrüßt und zum Dank überreichte er Abdel-Samad Präsente: ein Buch und selbst gemachte Walldorfer Marmelade. (Seb.)

Christenverfolgung

Wo Christen sich ungeschützt fühlen

Pfarrer Kurt Vesely bei Punktsieben zum Thema „Christen unter Druck“ 

„Wenn es doch nur ein ’verstaubtes Thema’ wäre.“ Pfarrer Kurt Vesely, evangelischer Theologe und Lehrer am Gymnasium Walldorf, widmete sich bei Punktsieben, dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde, der Frage „Sind Christen weltweit unter Druck?“
Die Antwort war nicht einfach, denn offenbar trifft auf die öffentliche Wahrnehmung zu, was er aus dem Bekanntenkreis gehört habe: dass das heute „kein Thema mehr“ ist. Bei seinen Recherchen in Berichten der Menschenrechtsorganisationen „Amnesty International“ und „Human Rights Watch“ habe er zu seiner Verblüffung kaum etwas über die Verletzung der Religionsfreiheit von Christen gefunden. Da gebe es einen „blinden Fleck“. Christliche Hilfswerke wie „Kirche in Not“ oder „Open Doors“ sprechen von weltweit über 100 Millionen diskriminierten oder verfolgten Christen. 
Damit sei natürlich nicht gemeint, dass sie alle unter körperlicher Gewalt zu leiden hätten oder gar getötet würden, betonte Vesely. Vordringlich würden ihnen nicht die vollen Bürgerrechte eingeräumt, erklärte er. Brandanschläge auf Kirchen wie in Nordnigeria oder Attentate wie jene auf Kopten in Ägypten: Solche Vorfälle sind nach Kurt Veselys Meinung selten. Doch es wirkt ihm zufolge, als unternehme beispielsweise Ägypten nicht genug: „Die Christen dort fühlen sich ungeschützt.“
„Open Doors“ hat einen „Weltverfolgungsindex“ erstellt, eine Liste von 50 Ländern, in denen Christen am stärksten benachteiligt werden. An erster Stelle stehe Nordkorea, so Vesely. Die nächsten neun Länder auf der Liste seien islamisch geprägt, beispielsweise Iran, Saudi-Arabien, Pakistan, Afghanistan und Nigeria. Weiterhin seien beispielsweise China und Vietnam auf der „Watch List“ des Hilfswerks. Um die Frage, warum Christen so häufig in islamisch geprägten Ländern verfolgt werden, komme man nicht herum, so Vesely. „Bloß darf man nicht in die Falle tappen, einen ewig unveränderlichen Islam zu sehen, der nicht anders kann, als intolerant zu sein.“ Was ihm zufolge lange in der katholischen Theologie galt, „nur die Wahrheit hat Recht“, finde man nun dort: „Die staatsbürgerliche Partizipation ist abhängig von der Nähe zur islamischen Wahrheit. Vollbürger sind nur Muslime.“
Kurt Veselys Ansicht nach ist die Forderung, Deutschland solle politischen Druck ausüben, um die Situation der Christen zu verbessern, hochproblematisch. Dann fühlten sich die jeweiligen Länder womöglich an Kolonialzeiten erinnert. Christen würden vielfach ohnehin als „Fünfte Kolonne“ beargwöhnt. „Der Schuss könnte nach hinten losgehen.“ Auf der lokalen Ebene empfahl Kurt Vesely das Knüpfen von Partnerschaften zu christlichen Gemeinden beispielsweise in Ägypten oder im Libanon.
Vertiefende Fragen stellten Dr. Ralf Tolle, Sabine Reich und Pfarrer Bernd Höppner von Punktsieben. Die spätere angeregte Diskussion mit dem Publikum drehte sich auch um die Verbesserung des interreligiösen Dialogs in Deutschland. Kurt Vesely konnte als Leiter interkultureller und interreligiöser Projekte in Mannheim von guten Erfahrungen mit dialogbereiten muslimischen Gemeinden berichten. Klaus Bruckner von Punktsieben hatte die Gäste eingangs begrüßt und bedankte sich im Anschluss bei Kurt Vesely mit einem Weinpräsent. (seb)