Der gewünschte Tod

"Die Kirche muss bei Sterbehilfe Ansprechpartner sein"

Vortrag von Pfarrer Michael Frieß bei "Punktsieben" in Walldorf - "Ich habe das gute Gefühl, dass die Diskussion eröffnet ist" 

Zwei starke Ängste empfindet der Mensch eingedenk des Lebensendes: "Es wird nicht mehr alles für mich getan", aber auch "Ich darf nicht sterben", die Angst vor "fremdbestimmtem Leiden". Darüber sprach Dr. Michael Frieß (Foto: Pfeifer), Pfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, Autor und Rettungsassistent, als er bei "Punktsieben", dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, über aktive Sterbehilfe referierte. 
Klaus Bruckner von Punktsieben begrüßte die Gäste und stellte Frieß vor. Er erklärte, es sei nicht einfach, "einen Ethiker oder Theologen zu finden, der sich so konzentriert mit aktiver Sterbehilfe befasst". Ein Grund ist die klare Position des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der kann sich der Referent nicht anschließen: "Das Suizidverbot lässt sich biblisch nicht begründen", erläuterte er. Die landläufig bekannte Formulierung "Gott ist Herr über Leben und Tod" stamme keineswegs aus der Bibel und für das Gebot "Du sollst nicht töten" habe man in der Geschichte des Christentums immer Ausnahmeregelungen gefunden. 
Mit den Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin sei nun "eine neue Situation" entstanden, die es nötig mache, über weitere Ausnahmen nachzudenken. "Sich der Debatte zu verwehren, geht nicht, schon gar nicht mit den zehn Geboten." 
Zuhörer, die anderer Meinung als Pfarrer Frieß waren, meldeten sich nicht zu Wort, vielmehr erhielt er Zustimmung und Dank dafür, das sensible Thema aufgegriffen zu haben. Wie es schien, herrschte im Saal Einigkeit über das Recht auf Selbstbestimmung gerade, was Sterben, Leid und Tod angeht. Dabei ging es allen um die aktive Sterbehilfe für Todkranke, die austherapiert sind. Konsens war offenbar auch Pfarrer Frieß' - charakteristisch protestantisches - Statement: "Ich als evangelischer Christ lasse mir von keinem EKD-Ratsvorsitzenden sagen, was ich glauben muss." Protestanten müssten selber entscheiden, so Frieß: "Ich bin keine Marionette an den Fäden Gottes." 
Recht viel Zustimmung erhielt er auch für die theologische Überlegung, dass Suizid für viele Christen ein tiefreligiöser Akt sein könne: "Ich begebe mich in die Hände Gottes." Insofern könne man auch die Beihilfe zum Suizid und sogar die aktive Sterbehilfe als Akt der Barmherzigkeit betrachten, so Frieß. Seine Vorstellung von Gottvertrauen schließt wiederum nicht ein, in schwierigen Lebensrettungsmaßnahmen irgendwann innezuhalten und sie Gott zu überlassen. Und so gelte auch im Prozess des Sterbens: "Ich finde keinen Punkt, bis zu dem der Mensch entscheiden kann und ab dem Gott entscheiden muss." Das sei einem modernen, selbstbestimmten Menschen nicht möglich, meinte der Pfarrer. "Gott hat uns den Verstand, den Willen und den Auftrag gegeben zu entscheiden." 
Michael Frieß erläuterte auch die Rechtslage in Deutschland, auch was den Stopp lebensverlängernder Maßnahmen wie künstliche Ernährung angeht, und verglich sie mit der in den Niederlanden und in der Schweiz. Hierzulande sei Suizid nicht strafbar, demnach auch nicht die Beihilfe. Dafür aber habe die Bundesärztekammer ärztlich assistiertem Suizid "einen Riegel vorgeschoben". 
Michael Frieß wünscht sich eine gesetzliche Regelung, die klare Bedingungen vorgibt. Schwierigster Punkt dabei sei wohl, ob der Patient den "ernsthaften Willen" habe, seinem Leben ein Ende zu setzen. Selbstverständlich muss es ein nachvollziehbarer, lang gefasster Wunsch sein, keine spontane Übersprungshandlung etwa bei Liebeskummer. Auch dürfe natürlich kein Druck auf den Sterbenden ausgeübt werden. 
Dass dieser Druck möglicherweise empfunden wird, wenn die Sterbehilfe erlaubt ist, räumte Michael Frieß ein. Noch gebe es hierzu keine Studien etwa aus den Niederlanden oder der Schweiz. Andererseits sei auch die psychologische Wirkung dieser Wahlmöglichkeit nicht zu unterschätzen, hob er hervor. Die Angst vor einem leidvollen Tod werde gelindert: Das sei eine so große Entlastung, dass das Angebot dann vielleicht gar nicht in Anspruch genommen werden müsse. Er betonte auch, dass das keinen Widerspruch zur Hospizidee darstelle: Ein begleitetes Sterben und gute Palliativmedizin zur Schmerzlinderung seien von enormer Bedeutung. 
Im Anschluss an den Vortrag stellten Alf Osman und Mathias Pütz von Punktsieben sowie Hospizhelferin Marianne Schröter vertiefende Fragen zu Selbstbestimmung, zum möglichen rechtlichen oder institutionellen Rahmen für Sterbehilfe und über möglichen Missbrauch, wenn aktive Sterbehilfe erlaubt und geregelt ist. Auch entspann sich eine angeregte Diskussion mit dem Publikum. 
Abschließend forderte Pfarrer Frieß: "Die Kirche muss bei Sterbehilfe Ansprechpartner sein." Er zeigte sich verhalten zuversichtlich: Auch wenn es sicher noch daure, bis eine Sterbehilfe-Regelung gefunden ist: "Ich habe das gute Gefühl, dass die Diskussion eröffnet ist." (Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung/seb)

Menschen - Medien - Meganetze

Wie Medien das Denken verändern, „liegt an uns“

Dr. Matthias Kaiser sprach über „Menschen, Medien, Meganetze" 

Eigene Erfahrungen sind unentbehrlich, Informationen sammeln und eine Meinung bilden, sollte man niemand anderem überlassen. So argumentierte Dr. Matthias Kaiser in seinem Vortrag „Menschen, Medien, Meganetze – Wie moderne Informationsmedien unser Denken verändern“. Zum einen plädierte er dafür, dass Kinder erst mit den eigenen fünf Sinnen, im realen Leben, Erfahrungen sammeln, ehe sie dann in die abstrakte „virtuelle Welt“ gelassen werden; zum andern aber auch dafür, dass jeder sich selbst kundig machen sollte über Computer und Internet, um zu einer angemessenen Einschätzung zu kommen.
Matthias Kaiser, Diplompädagoge, renommierter Forscher auf den Gebieten der künstlichen Intelligenz und der Kognitionswissenschaft und Chef-Entwickler bei SAP, referierte bei „Punktsieben“, dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf. Mit launigen Bemerkungen und anschaulichen Beispielen lockerte er seinen Vortrag auf. So sagte er augenzwinkernd: „Ich habe mehr Fragen als Antworten, aber das wollte ich vorher nicht sagen.“
Anschaulich verglich er die Intelligenz des Menschen mit der eines Computers, der Rechnen, Routen planen und Rechtschreibung bereits jetzt besser beherrsche. Doch selbstverständlich sei Maschinen vieles (derzeit zumindest) nicht möglich, was Menschen dank „unbewusster Expertise“ leicht falle. Computer könnten Bedeutung, Wert oder Sinn von Personen, Dingen und Vorgängen nicht ermessen. Denn die menschlichen Gedanken werden Kaiser zufolge maßgeblich von Emotionen beeinflusst. Eine weitere Stärke der Menschen: „Wir haben Ideen, stellen neue, sinnreiche Kombinationen von Vorhandenem her.“
„Ich sehe das Internet weiterhin als große Chance“, erklärte Matthias Kaiser. Befürchtungen, dass Gedächtnis oder andere kognitive Fähigkeiten durch intensives Nutzen von Computer und Internet leiden könnten, hielt er seine eigene, über 25-jährige Erfahrung entgegen. „Es liegt an uns“: Schließlich könne man mit dem Computer den Verstand auch anregen und trainieren. Doch habe er durchaus zum Schrumpfen der Aufmerksamkeitsspanne geführt, so Kaiser.  
Andererseits sei es heute, da Informationen auf Knopfdruck verfügbar sind, vielleicht angemessen, tatsächlich nur „Informationsschnipsel“ aufzunehmen, und zwar dann, wenn man sie braucht – quasi „Just in time“. Natürlich benötige man hierzu die nötige Erfahrung und vielleicht auch neue Hilfsmittel, um die Datenflut zu überblicken. Die Gefahr bestehe, dass man zwar jede Menge Fakten ansammle, sie aber kaum verstehe.
Zur Medienkompetenz gehört dem Experten zufolge neben der Fähigkeit, das gesammelte Wissen zu ordnen, und der Einsicht, was eine maßvolle Nutzung der Medien ist, auch ein gesundes Misstrauen. „Wachsamkeit ist geboten“: bezüglich der Quellen der Informationen ebenso wie der Empfänger der Daten, die man von sich preisgibt.
„Wir können nicht zurück“, sagte Kaiser in der regen Diskussion mit dem Publikum, die sich an seinen Vortrag anschloss. Er riet davon ab, sich „herauszuhalten“ und auf Abstand zu den „Neuen Medien“ zu gehen. Wenn die Gesellschaft entscheide, dass der Nutzen den möglichen Schaden überwiege, tue man sich damit keinen Gefallen: Man erlebe tief greifende Entwicklungen nicht mit und verliere die Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen, so Kaiser. „Das Internet wird nicht wieder verschwinden, dann wollen wir es lieber mitgestalten.“
Christoph Dressler von Punktsieben moderierte den Abend und eingangs hatten Jochen Koppert, Sabine Reich und Steffen Hoffmann ins Thema eingeführt. (Quelle: RNZ / seb)