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MASSENWARE BIO - DAS GLEICHE IN GRÜN?

Steffen Hoffmann February 26, 2015

„Wir brauchen eine umfassende Agrarwende“

Spiegel-Reporterin Michaela Schießl sprach bei „Punktsieben“ in Walldorf über die „Massenware Bio“

Eingangs schilderte sie das Idealbild eines Bio-Bauernhofs, mit artgerechter Tierhaltung, sparsamem Düngereinsatz, keinen Antibiotika, Beiträgen zum Umweltschutz und fairen Löhnen. Um dann deutlich zu machen, dass diese Höfe aussterben. Die „Massenware Bio“ macht ihnen den Garaus. Spiegel-Reporterin Michaela Schießl war bei „Punktsieben“, dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, zu Gast und hob eindringlich nicht nur die Probleme der Bio-Höfe hervor, sondern auch, warum sie eine umfassende Agrarwende für dringend geboten hält. Der Saal des evangelischen Gemeindehauses war voll besetzt, das Interesse der Besucher groß.

Michaela Schießl stammt aus Walldorf, studierte Journalistik, Politologie und Sportwissenschaften, nun ist sie Reporterin im Wirtschaftsressort des „Spiegels“ in Hamburg. Daher stammten viele ihrer persönlichen Eindrücke von Höfen in Schleswig-Holstein. „600 Biobauern geben jedes Jahr auf.“ Ein Grund ist der „Papierkrieg“, die Flut an Normen, die Michaela Schießl als zuweilen praxisfern darstellte – und in ständigem Wandel, je nach Wahlergebnis, „dabei wäre Planungssicherheit nötig“.

„Bio kämpft gegen Bio“: Wegen der Förderung von Biogasanlagen im Zug der Energiewende sah sie sich während ihrer Recherchen vor einer grotesken Situation: dass Monokulturen von Mais und anderen Energiepflanzen äußerst lukrativ werden. Das sei eigentlich „das genaue Gegenteil von Bio, da fahren jetzt die Spritzwägen“. Weil „die Pachtpreise explodieren“, gerieten Biobauern ohne eigenes Land „in akute Gefahr“. Ein weiteres Problem: die massiv gestiegene Nachfrage. „Die Biobranche ist Opfer ihres eigenen Erfolgs.“ Als die großen Supermarkt- und Discounterketten Massen an Bio-Lebensmitteln verlangten und die Preise zu diktieren begannen, war das laut der Referentin unausweichlich „ruinös für die Werte und Ideale“.

Hinzu kam das Bio-Siegel der EU für „das niedrigstschwellige Bio-Angebot“, weit unter den Standards der deutschen Anbauverbände. Solche Waren machen den hochwertigeren Bio-Lebensmitteln Konkurrenz. Ebenso die Billig-Importe aus aller Welt. Die Spiegel-Reporterin übte massive Kritik an den Qualitätskontrollen – auch hier in Deutschland, da erinnerte sie an die Skandale der vergangenen Jahre.

Für die „Massenware Bio“ werden ihr zufolge obendrein Südamerikas und Indonesiens Urwälder gerodet und gewaltige Gebiete in Südspanien „mit Plastik überzogen“, der Boden der ohnehin wasserarmen Gegend werde ausgelaugt. „Das ist die Pervertierung der Bio-Idee.“ Zumal wenn der Anbau durch Flüchtlinge aus Afrika oder Osteuropa unter „katastrophalen Bedingungen“ erfolge.

Zur Ur-Idee einer ökologischen Landwirtschaft gehören für Michaela Schießl viele Aspekte, die sich nicht unbedingt im Produkt wiederfinden, Vorteile für die gesamte Gesellschaft. Das machte sie an den verborgenen Kosten der konventionellen Landwirtschaft deutlich. „Lebensmittel sind nicht billig, sie werden billig gemacht.“ Acht Milliarden Euro jährlich kostet die Reinigung des Trinkwassers von Nitraten aus Düngemitteln. Wegen des unmäßigen Antibiotikaeinsatzes verbreiten sich ihr zufolge „Superkeime“, die resistent gegen viele gebräuchliche Arzneimittel sind. Die Krankenkassenbeiträge der Mitarbeiter in der Landwirtschaft steigen exponentiell. In den Meeren, gerade an Flussmündungen, gibt es „tote Zonen“ wegen der Überdüngung aus Abwasser von Feldern. Die Hochwassergefahr steigt, weil konventionell bewirtschaftete Böden vergleichsweise wenig Niederschlag aufnehmen. Auch mit dem Stichwort „Klimakiller“ in Bezug auf den Futtermittelanbau „sage ich Ihnen nichts Neues“.

In Zukunft müsste die Politik ein Interesse haben, die Bio-Landwirtschaft stärker zu fördern, so Michaela Schießl, „die Folgekosten könnten um ein Drittel sinken“. Auch sollte man die 94 Prozent immer noch konventionelle Landwirtschaft stärker regeln und näher an die Bio-Ideale heranbringen. „Kein Landwirt wehrt sich dagegen, sein Vieh artgerechter zu halten – wenn er vernünftig bezahlt wird.“

Das Hauptproblem hängt mit der „Macht der Verbraucher“ zusammen, die sowohl die Referentin als auch einige Besucher in der späteren Diskussion hervorhoben: Solange der Mehrwert des „Premium-Bio“ gegenüber dem verwässerten Bio nicht offenbar wird, greift niemand zum teureren Produkt. 

Ralf Tolle von Punktsieben moderierte den Abend, seine Teamkollegen Jochen Koppert, Sabine Reich und Matthias Kaiser stellten vertiefende Fragen. Da ging es unter anderem um „Billig-Bio“, Wege für Verbraucher, Druck auf die Hersteller auszuüben, die adäquate Förderung (nicht „mit der Gießkanne“) und einen „Blick in die Zukunft“, wenn eine kulturelle Veränderung sowohl Tierwohl und Umweltschutz als auch menschlicher Gesundheit entgegenkommt. Weniger oder gar kein Fleischkonsum wurden als ein guter Weg angesehen, die geschilderten Probleme zu mildern. In der Diskussion wurden auch Beispiele von erfolgreichen Bio-Betrieben genannt, die teils durch Vereine oder Genossenschaften gestützt werden. Weitere Themen waren verarbeitete Bioprodukte wie „Bio-Pizza“ („vermutlich zu viel Fett und Zucker“) und die Risiken des Freihandelsabkommens mit den USA.


(Text von Sebastian Lerche, der RNZ entnommen)

Scharia - Bedeutungen, Gefahren, Chancen

Steffen Hoffmann December 8, 2014

Muslime dürfen nicht „in Sippenhaft genommen werden“

Punktsieben zum Thema „Scharia“ – Teils sehr kontroverse Diskussion im vollen Saal des evangelischen Gemeindehauses Walldorf

Einfache Antworten sucht man bei Punktsieben, dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, vergeblich. Vielmehr widmet es sich bevorzugt aktuellen, schwierigen Themen, die eine differenzierte Herangehensweise verlangen. Als Prof. Mathias Rohe zu Fragen rund um Islam und Scharia Stellung nahm, machte schon der Vortragstitel klar, dass es um Gefahren und auch um Chancen gehen wird. Rohes Kritik war ausgewogen, erhellte negative Aspekte, ohne sie zu entschuldigen, und nannte gleichermaßen das Positive.

Prof. Rohe studierte Rechts- und Islamwissenschaften in Tübingen und Damaskus, er ist Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa. Persönliche Erfahrungen aus seiner Zeit als Richter am Oberlandesgericht, Begegnungen in orientalischen Ländern und Forschungsergebnisse, an denen er teils selbst mitgewirkt hat, bereicherten seinen Vortrag. Viele Menschen fühlten sich „zermürbt von all den schlechten Nachrichten seit dem 11. September“, räumte Rohe ein. Aber es gebe nicht „den Islam“, den man pauschal dafür verantwortlich machen könne. So übte er vehement Kritik an den Gräueln der Extremisten, etwa des „Islamischen Staats“ (IS), betonte aber, man dürfe „die Leute hier nicht in Sippenhaft nehmen“.

Zunächst gab Mathias Rohe Einblick in die Scharia als äußerst vielgestaltiges, dynamisches System religiöser, ethischer und rechtlicher Normen. „Kulturelle und religiöse Phänomene sind eng verwoben“, so Rohe. Daher, machte er deutlich, könne Kritik an Sitten islamisch geprägter Nationen oder Kulturen nicht immer am Koran festgemacht werden. Das Problem sei, dass der Islam „zunehmend politisiert“ werde – „eine neuzeitliche Erscheinung“, erst seit dem 19. Jahrhundert feststellbar. Konkret verurteilte Mathias Rohe die Einmischungen Saudi-Arabiens in die Demokratisierungsbemühungen in Ägypten, wo Ideen wie Demokratie oder Gewaltenteilung seiner Ansicht nach auf fruchtbaren Boden fallen. Das stelle aber für die Saud-Diktatur „die größte Gefahr“ dar.

„Die Kernfrage lautet: ’Wie haltet ihr’s mit der Rechtsstaatlichkeit?“: Normen zu beten oder pilgern, Verbot von Glücksspiel oder Alkohol, „fallen unter Religionsfreiheit“, da sehe er keine Probleme, „bei anderen Dingen sehr wohl“. Frauenrechte, Religionswechsel und „Djihad“ griff Rohe hier auf – und zeigte daran überraschend auch die Wandelbarkeit der Scharia-Normen auf. So gebe es einen „islamischen Feminismus“ und das Töten von Zivilisten stehe „im Widerspruch zu den strengsten Auslegungen des Djihad“. Der Experte zeigte sich „verhalten optimistisch“, dass in den meisten Ausprägungen des Islam das Potenzial da sei, sich zu entwickeln und „ins 21. Jahrhundert zu finden“.

Umfragen zeigten, dass eine Mehrheit die Rechte der Muslime, etwa zum Moscheenbau, einschränken wolle, und Parteien wie die AfD träten dafür ein: Da rät Mathias Rohe, „mal einen Blick in die Verfassung zu riskieren“: „Gerade hier muss sich unser Rechtsstaat bewähren“ – er sei „durchaus wehrhaft“ im Fall von Extremismus. Für Muslime gelte zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens wiederum, sich aktiv den hiesigen Werten zu öffnen.

Pfarrer Bernd Höppner, der die zahlreichen Besucher im Saal des Gemeindehauses begrüßt hatte, dankte Rohe, überreichte ein Präsent und leitete zunächst zu den vertiefenden Fragen über, die Alf Osman und Dr. Johannes Franzkowski von Punktsieben stellten, anschließend zur teils kontroversen Diskussion. Rohe nahm hier Stellung zu Fragen über Kopftuchstreit oder Burka-Verbot, stellte klar, dass Frauen Schutz vor Unterdrückung genießen müssten, aber Respekt vor eigenen Entscheidungen verdienten. Er betonte zur Burka: „Ich finde das grässlich, mir gefällt weder das Frauen- noch das Männerbild dahinter: Sind wir Männer oder Böcke?“

Beinah hitzig wurde über „Parallele Gerichtsbarkeit“ diskutiert. „Ich sehe das sehr kritisch“, meinte Mathias Rohe, widersprach aber einer pauschalen Ablehnung. Als Beispiel nannte er den Fall einer Zweitfrau, die nach allem, was sie wusste, verheiratet war, eben in Polygamie. Das lasse das deutsche Recht freilich nicht zu, zeige sich aber bis zu einem gewissen Grad „respektvoll und menschennah“ und räume der Frau ein Anrecht auf Teile von Erbe oder Rentenansprüchen des Mannes ein. Keine Rücksicht wiederum dürfe man auf „Clan-Strukturen“ nehmen, wenn sie organisierter Kriminalität gleichkämen. Rohe verurteilte auch die sogenannten „Ehrenmorde“ – die es aber nicht nur in islamischen, sondern auch in anderen „extrem patriarchalischen“ Kulturen gebe. Dagegen müsse man entschieden vorgehen, gemeinsam mit möglichst vielen Muslimen. Rohe hob hervor, was für alle gelte: „Wir müssen die Grundlagen der Menschenrechte jeder Generation von Neuem klarmachen, das ist eine immerwährende Überzeugungsarbeit in allen Bevölkerungskreisen.“

(Text von Sebastian Lerche, der RNZ entnommen)


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