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Protestantismus heute und morgen

Steffen Hoffmann April 13, 2016

„Sich über Grenzen hinweg für gemeinsame Ziele einsetzen“

Präsidentin des Kirchentags 2017 sprach bei Punktsieben über mögliche Impulse des Reformationsjahrs

Walldorf. Welche Rolle können protestantische Ideen und reformatorisches Gedankengut künftig noch spielen? Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Christen der Kirche den Rücken kehren, sprach die Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017 Prof. Christina Aus der Au vor über hundert interessierten Zuhörern bei Punktsieben, dem Diskussionsforum der Evangelischen Kirchengemeinde Walldorf.

Pfarrerin Marina von Ameln begrüßte die Theologin, die bereits im Februar 2014 Gast bei Punktsieben war. Dass ausgerechnet eine Schweizerin als Präsidentin ausgewählt wurde, sieht Aus der Au selbst als Reaktion auf die Tendenz, aus dem Jubiläumsjahr „500 Jahre Reformation“ ein gigantisches Lutherfestival zu machen. Dabei sei, „psst, nicht weitersagen“, der Thesenanschlag wohl gar nicht historisch. Es habe im Protestantismus auch andere Stimmen gegeben, betont sie und nennt unter anderem Hus, Calvin und Zwingli.

Für Aus der Au, die eine siebenjährige Tochter hat, heißen die drei K nicht „Kinder, Küche, Kirche“, sondern „Kirche, Kommunikation und Konvivenz“. Für den Begriff „Kirche“ stehe Johannes Calvin und sein Ausspruch: „Wer also Gott zum Vater hat, der muss auch die Kirche zur Mutter haben.“ Damit wendet sie sich gegen die verbreitete Haltung, Christ könne man auch ohne Kirche sein. Die Kirche sieht sie als Schwerkraft, die durch Auslegung der Bibel dafür sorge, dass die Gläubigen nicht auseinander driften. Dabei sollte sich jeder Christ als Theologe betätigen und über das Wort Gottes diskutieren: Wie ist das mit der Homosexualität? Wie gehen wir mit der Umwelt um? 

Zum zweiten Begriff „Kommunikation“ sagt sie: „Müssten wir nicht in der Nachfolge Luthers hier noch viel mutiger, fröhlicher und kreativer sein, wenn wir das Evangelium so verkünden wollen, dass es hier und jetzt gehört und verstanden wird?“ und nennt als Beispiele die „Zürcher Bibel“ und die Bibel in „gerechter Sprache“, die von Frauen übersetzt wird. 

Zu den drei Ksteuere Zwingli die „Konvivenz“ bei, die Aus der Au als Verantwortung der Kirche in der Welt und für die Welt beschreibt. Als Bergler komme Zwingli von der politischen Gemeinde, der Dorfgemeinschaft, her und fordere, die Messlatte für den Staat müsse das Reich Gottes sein. „Lasst uns die Gesellschaft anstecken, damit Vertrauen wieder möglich wird. Das hat auch mit Europa zu tun“, sagt die Schweizerin und fordert Offenheit im Verhältnis zu Konfessionslosen, Muslimen, Hindus und Buddhisten. Sich gegenseitig helfen, voneinander lernen und miteinander feiern, das könne man auch ohne Abendmahl. 

Heute schaffe es keine Organisation – nicht einmal der ADAC – die überwältigende Mehrheit hinter sich zu scharen, stellt „Konfrontator“ Johannes Franzkowski vom Punktsieben-Team mit besorgtem Blick auf die Statistik fest. „Größe ist immer etwas, wo wir Schweizer misstrauisch werden“, entgegnet die Theologin. Sie sehe die Zukunft eher darin, Gemeinsamkeiten über die Grenzen der Kirche hinaus zu suchen und mit Anderen, dem WWF, politischen Parteien oder auch dem ADAC etwas zu bewegen. 

Die 18-jährige Lea Moos, die Theologie studieren will, merkt an, dass ihre Freunde mit der traditionellen Form des Sonntagsgottesdienstes wenig anfangen können. Es brauche kein Kirchengebäude, keinen Pfarrer, keine Liturgie und keine Orgel um Theologie zu betreiben, sagt Aus der Au und nennt die anglikanische Bewegung Fresh expressions, deren Mitglieder sich auch mit schwarz gewandeten Gothics in den Ruinen von Coventry treffen und über Gott und den Tod sprechen. 

„Kirche als Mutter? Welche von den Vielen?“, fragt Clemens Gramlich, Vorsitzender des katholischen Pfarrgemeinderates. Man schlage sich nicht mehr die Köpfe ein und es fahre auch keiner mehr Gülle an Fronleichnam. Als Zeichen der Einheit empfiehlt er Papst Franziskus. Die Reformierten in der Schweiz würden schon bei einem Bischof die Krise kriegen, entgegnet Aus der Au. Dort sei die Kirchengemeinde die Einheit, wo alles entschieden wird. Man sollte mit der Ökumene unten anfangen, nicht das Abendmahl feiern, sondern zusammen essen, trinken, beten und singen. 

Pfarrerin Wibke Klomp bringt das Thema Willkommenskultur ins Spiel, das Aus der Au als „schönes Beispiel“ für eine Bewegung bezeichnet, die über die Grenzen der Konfession hinausgeht. André Ekama, Schriftsteller aus Kamerun, berichtet, dass die Kirchen in Afrika immer voller würden. Migrationskirchen, die von evangelikal geprägter Theologie geprägt seien, biete man Kurse über kritische Auslegung an, so Aus der Au. Alf Osman von Punktsieben nennt Schwierigkeiten beim Dialog zwischen Juden und Christen. Der Antijudaismus sei ein Geburtsfehler der Reformation. Wilhelm Krämer aus Sandhausen vermisst weitere kritische Aspekte. Die haarsträubenden Texte Luthers über die Juden oder sein Umgang mit den Bauern würden thematisiert und über die christliche Opfertheologie stritten die Theologen, versichert die Theologin. Als eine Aufgabe sieht sie den Zustand Europas. Rund 60 Leute aus verschiedenen europäischen Ländern seien dabei, einen europäischen Kirchentag zu planen.

 

Text und Fotos: Sabine Hebbelmann

 

 

TTIP

Steffen Hoffmann February 25, 2016

Einmalige Chance oder Gefahr für Demokratie? Walldorfer Diskussionsforum „Punktsieben“ widmete sich Freihandelsabkommen wie TTIP.

Walldorf. (seb)

Optimismus und Misstrauen standen sich beim „Streitgespräch“ über Freihandelsabkommen gegenüber. „Punktsieben“, das Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, hatte dazu eingeladen, der Saal des evangelischen Gemeindehauses war voll besetzt und später entspann sich mit dem Publikum eine teils hitzige Diskussion.

Mit „Insgesamt überwiegen die Chancen deutlich die Risiken“ trat der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Stephan Harbarth, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Kapitalmarkt- und Finanzrecht, Prozessführung und Schiedsverfahren, „in den Ring“.

Demgegenüber argumentierte Wolfgang Kessler, Chefredakteur der christlichen Wochenzeitschrift „Publik Forum“, studierter Publizist, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler: Bei Abkommen wie TTIP „geht es ausschließlich um mehr Macht für die Wirtschaft über Politik und Bürger, um weniger Staat, um einen weltweit unregulierten Kapitalismus“.

Dabei fanden die beiden durchaus Gemeinsamkeiten: zum einen in ihrer Kritik an der Geheimhaltung. Kessler forderte Transparenz, auch Harbarth hielt – bei allem Verständnis, dass nicht alle Abgeordneten „mitverhandeln“ können – „die Einsichtmöglichkeiten in TTIP für unzumutbar“. Zum anderen waren sie sich einig, dass internationale Abkommen einen Ausgleich schaffen können zwischen den Einflussmöglichkeiten von global agierenden Konzernen und nationalen Gesetzgebern.

Kesslers Hauptkritikpunkt an TTIP, dessen „Blaupause“ CETA, dem bereits fertig verhandelten Freihandelsabkommen mit Kanada, und anderen Verträgen war nämlich, dass sie „Werkzeuge“ beinhalteten, „um die Demokratie auszuhebeln“. Hier verwies er insbesondere auf die privaten Schiedsgerichte. Beispiel Peru: Dort habe allein die Androhung von Klagen durch US-Konzerne verhindert, dass die Regierung neue Umweltauflagen zum Schutz ihrer Bürger erlasse.

Harbarth konterte mit einem Blick in die Geschichte: Kanzler Ludwig Erhard habe einst die Schiedsgerichte zum Schutz deutscher Firmen vor Korruption in anderen Ländern ins Leben gerufen. So hielten die USA – gestützt auch auf Gutachten der EU – die Justiz in Rumänien und Bulgarien für problematisch. Harbarth ergänzte, dass man die Schiedsgerichte durchaus etwa mit Bundesverfassungsrichtern besetzen könne, das sei ein offener Verhandlungspunkt. Die Gerichte entschieden nicht automatisch immer für Unternehmen. „Man sollte nicht den Eindruck erwecken, vorm Schiedsgericht kommt nur Quatsch raus, die Erfahrung rechtfertigt das nicht.“

Während Kessler einen nennenswerten Nutzen des Freihandelsabkommens bestritt, verwies Harbarth auf Prognosen zu mehr Wachstum, steigender Produktvielfalt, sinkenden Preisen und mehr Arbeitsplätzen. Doch das sei „nicht das Kernargument“, so Harbarth. Vielmehr drohe Europa weltweit an Bedeutung und Einfluss zu verlieren, etwa gegenüber Asien. Das bedeute, dass sich Europa nur jetzt die Möglichkeit biete, Standards in Verbraucher-, Arbeitnehmer- oder Umweltschutz für den Welthandel zu setzen. Wobei die Frage laute: „Sind unsere Standards die höchsten?“ Mit Blick auf Schadstoffgrenzwerte und Kontrollen von Abgasen meinte er, dass man das differenziert betrachten müsse und ein generelles Misstrauen gegenüber den USA unangebracht sei. Die Bundesregierung habe das Ziel, „das jeweils höhere Schutzniveau zu etablieren“ (dass sich die Politik das traut, bezweifelte Wolfgang Kessler). Sorgen wie der Privatisierung der Trinkwasserversorgung trat Harbarth entgegen: „Die kommunale Daseinsvorsorge soll im gleichen Umfang wie bisher bei den Kommunen bleiben.“

Gegen Harbarths Kernargument setzte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler den eigentlichen Zweck jedes Freihandelsabkommens: „den Freihandel zu entfalten“, was notwendigerweise weniger Regularien bedeute. Am Beispiel von hormonbehandeltem Fleisch erklärte Kessler, er argwöhne, dass dann Waren aus den USA mit niedrigeren Standards in der EU billiger auf den Markt kommen, woraufhin hiesige Produzenten Druck auf die Politik zur Senkung der Standards ausüben würden.

Kessler betonte, dass er Abkommen wie TTIP als „Instrumente des vergangenen Jahrhunderts“ ansehe, mit denen man heutige Probleme gar nicht angehen könne. TTIP spreche weder die Schere zwischen Arm und Reich noch Klimaschutz oder nachhaltige Wirtschafts- und Produktionsmethoden an. 

Harbarth gab zu bedenken, dass TTIP noch nicht ausverhandelt sei. Während des Ratifizierungsprozesses, der nicht Monate, sondern sicher Jahre dauern werde, könne jeder Abgeordnete sich einarbeiten und dann frei entscheiden.

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