DREI JAHRE PRÄSIDENT TRUMP

In welcher Verfassung befinden sich die USA und die Welt?

Mit Dr. Martin Thunert

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Nach drei Jahren Trump zieht Punktsieben mit Politikwissenschaftler Martin Thunert BilanzWalldorf. 42.500 Kurznachrichten (Tweets) auf Twitter hat Donald Trump bisher verbreitet, berichtete Moderator Ralf Tolle von Punktsieben, der Erwachsenenbildungsinitiative der Evangelischen Kirchengemeinde Walldorf. Er setzte sich eine Pappmaske mit dem Konterfei des amerikanischen Präsidenten auf und las ein paar besonders krasse Tweets, bevor er im voll besetzten Gemeindesaal den Amerika-Experten Martin Thunert vom renommierten Heidelberg Center for American Studies vorstellte. Der lieferte in der gebotenen Kürze eine Analyse, die ihren Ausgang im Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 nahm. Laut Thunert führte die Globalisierung dazu, dass ehemals gut bezahlte Jobs in Niedriglohnländer abwanderten. Zudem entstanden in den USA mit der Digitalisierung disruptive (zerstörende) Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook. Sowohl wirtschaftlich als auch kulturell stieg der Druck an und erreichte in der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Amerika besonders traf, ihren Höhepunkt. Statusängste machen sich seither breit, nicht so sehr bei den „Abgehängten“, sondern vor allem bei Menschen, die etwas zu verlieren haben. Was ist mit Amerika los? Wie konnte ein Nicht-Politiker, der nie ein Amt („nicht mal Elternbeirat“) bekleidet hatte Präsident der Vereinigten Staaten werden? Und könnte er am 3. November 2020 erneut ins Weiße Haus einziehen? „Ohne Twitter hätte ich die Wahl nicht gewonnen“, habe Trump einmal gesagt. Entsprechend attackiert er alles, was das populistische Durchregieren stören könnte: Zentralbanken, Medien, Verfassungsgerichte, politische Gegner. Trump sei als „Instinkt-Politiker“ unberechenbar. Doch trotz der hohen Fluktuation in seinem Regierungsteam hält der harte Kern zu ihm.In Umfragen liegen Demokraten und Republikaner derzeit gleichauf, gegenüber Trump haben jedoch die Kandidaten der Demokraten die Nase vorn. Nur beim Thema Wirtschaft kann der Präsident punkten: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 4 Prozent, der Dow-Jones-Index steigt in ungeahnte Höhen. Verlassen kann sich Trump vor allem auf bildungsferne weiße Schichten, Bewohner ländlicher Gebiete, die sich als Hinterwäldler abgestempelt fühlen und auf Evangelikale Christen, denen Skandale und Rassismus egal sind solange sich der Präsident gegen Abtreibung ausspricht und die christliche Gegenrevolution verkörpert. Dass Trump selbst nicht religiös ist, spielt dabei keine Rolle.Trumps Chancen auf eine Wiederwahl gibt der USA-Experte mit „fifty-fifty“ an. Welche Folgen sieht Thunert für die Weltordnung?Viele der Kritiker Trumps – nicht nur aus der eigenen Partei – haben die weitgehend gescheiterte Außen- und Sicherheitspolitik der USA seit Ende des Kalten Krieges verantwortet oder unterstützt (was es auch für Kandidaten wie Joe Biden schwermacht). Trump fordert die multilaterale Ordnung heraus. Sein Ansatz ist es, situationsbedingt auf für die USA profitable Deals mit einzelnen Staaten zu setzen. Er übt Druck auf Alliierte in Sicherheitsfragen aus, baut aber auch die eigene militärische Stärke aus. „Make America

Great Again“ heiße aber nicht, die weltpolitische Bedeutung der USA zu stärken, sondern dieUSA selbst stark zu machen, betont Thunert. „Westliche Werte“, die „Responsibility to Protect“, also der Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des humanitären Völkerrechts oder auch der Ansatz, die beste Friedenspolitik sei die Demokratisierung, all das spielt für den Präsidenten keine Rolle. Stattdessen zählen für ihn nationale Interessen und die Macht des Stärkeren. Trotz dieses Angriffs auf die liberale Weltordnung lautet Thunerts Prognose: Die liberale, regelbasierte Weltordnung kann auch ohne US-Führung aufrecht erhalten werden solange die entsprechenden Institutionen bestehen und die USA die strukturelle Macht (z.B. Dollar-Dominanz) behalten. Trotz neuer Herausforderer sieht der Politikwissenschaftler die USA aufabsehbare Zeit als einzige Weltmacht Sabine Hebbelmann

DIE AUFGEREGTE GESELLSCHAFT

ALTERNATIVE FAKTEN – POPULISMUS - HASS

Mit Professor Philipp Hübl

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Das Buch „Die aufgeregte Gesellschaft“ hatten Stadtbücherei und PUNKTSIEBEN zum Anlass genommen, dessen Autor Philipp Hübl nach Walldorf einzuladen. Im einmal mehr sehr gut besuchten Ev. Gemeindehaus, beleuchtete der Philosophieprofessor aus Berlin die zunehmend polarisierten Gesellschaften weltweit. Insbesondere anhand der Erkenntnisse zahlreicher Studien der Verhaltenspsychologie untermauerte er seine These, dass der wachsende Zulauf rechtspopulistischer Bewegungen gerade in der westlichen Welt seine Ursachen in der Angst mancher gesellschaftlicher Gruppen vor der Bedrohung ihrer kulturellen Identität habe. Während die Mehrheit der Menschen vor allem in der westlichen Welt grundsätzlich positiv auf die Chancen und Herausforderungen der Globalisierung reagiere, stellten für manche die sich auflösenden Grenzen und das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Sitten und Ideen eine existenzielle Bedrohung dar. Doch Abgrenzung, die Solidarität nur mit der eigenen Gruppe, geschehe nicht nur hinsichtlich von Nationalitäten oder Kulturen. Angesichts unserer individualisierten, auf den schnellen Reiz ausgerichteten Lebens- und Medienwelt würden solche Konflikte immer kleinteiliger: Fleischesser gegen Vegetarier, Fahrrad- gegen SUV-Fahrer usw.: die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Dabei seien die Muster immer die gleichen: Glorifizierung der eigenen Gruppe – Verunglimpfung der Anderen. Ein Diskurs, das heißt die Begründung des eigenen Standpunktes, sei dann nicht mehr gefragt. Bestes Beispiel seien hier die Talkrunden im Fernsehen, in denen nur noch Meinungen verkündet und nicht mehr begründet werden. Auch wenn Professor Hübl kurzfristig eine noch verstärkte Polarisierung erwartet, äußerte er sich zum Abschluss verhalten- hoffnungsvoll. Denn auch wenn es nicht so scheine, die weltweite Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg zeige einen sukzessiven moralischen Fortschritt. Nicht zuletzt verwies er auf die junge Generation, die wie nie zu vor von Bildung und Freiheit profitiere und der die Zukunft gehöre.