Kirchensterben

Kultur ohne Kirche?

Michale Schrom

Michael Schrom

Über 70 Gäste waren gekommen und noch mehr haben den Vortrag und die anschließende Diskussion auf unserem You Toube- Kanal verfolgt: Punkt Sieben hatte eingeladen zu dem Vortrag von Michael Schrom, Leitender Redakteur des Publik-Forums zum Thema: „Kirchensterben – Kultur ohne Kirche?“

Schrom stellte ausführlich dar:

Die Statistik beweist: Zum ersten Mal gibt es in Deutschland mehr Menschen, die nicht in der Kirche sind, als Kirchenmitglieder. Der Schwerpunkt der Kirchenaustritte liegt dabei bei den 20- bis 35-jährigen und hat alle gesellschaftlichen Schichten erfasst. Interessanterweise ist dabei die evangelische Kirche genauso betroffen wie die katholische, bei der zahlreiche Skandale die Austrittswelle befeuern. Und ebenso interessant: Die meisten Austretenden bekunden, dass der Austritt nichts mit ihrem Gottesglauben zu tun hat.

Es gibt öffentliche Kirchenkritik: Innerhalb der Kirche beklagen die meisten Kritiker, dass eine gedachte Urform der Kirche verlassen wurde und die Krise daher rühre. Von außerhalb kommt fundamentale Kritik. So sieht der Philosoph Peter Sloterdijk die christlichen Kirchen als einen „Irrtum der Geschichte“. Für ihn entstand das Christentum dadurch, dass eine orientalische Märchenerzählung zur Grundlage einer Weltreligion umgedeutet wurde. Paradox dazu sieht er Kirche zwar als ebenso nutzlos an wie zum Beispiel Musik – aber Leben ohne Musik wäre schließlich kein Leben. Kirche ist für ihn also dennoch ein wichtiger Teil der Kultur des Menschen.

Hier setzen viele Denkende an und formulieren eine Gegenrede: Navid Kermani sieht eine gesellschaftsrelevante Notwendigkeit von Religion. Ohne sie würde kulturelles Wissen aus Jahrtausenden einfach nicht mehr zugänglich sein. Man denke nur an die christliche Prägung der mitteleuropäischen Kunst mit ihren Heiligendarstellungen und biblischen Szenen. Oder die historische Bedeutung der Kirchen für die Bildung. Und selbst der polnische, marxistische Philosoph Kolakowski sieht in den Kirchen Garanten für eine kulturelle Identität der Gesellschaft.

Von hier aus wagt Schrom einen Ausblick auf die Zukunft der Kirchen: Sie könnten „fromm und dunkelgrün“ sein. Etwa als Sammelbecken für eine neue Generation, die einen religiösen Wert in der Natur sieht, die es zu erhalten gilt. Oder sie dienen in Zukunft als Kulisse für die Feier von Augenblicken, zum Beispiel Hochzeiten wie die der Lindners auf Sylt. Sie könnten aber auch als Steigbügelhalter für rechtsgerichtete nationalistische Bewegungen dienen, was man etwa an der Haltung der russischen Kirche zum Ukrainekrieg oder der politischen Einflussnahme rechtskonservativer Evangelikaler in den USA sieht. Oder die Kirchen werden zu einem aktiven Korrektiv der Gesellschaft und bleiben daher ein gesellschaftlicher Faktor, so weit sie das wollen.

Darüber, wo es hin geht, ob die Entwicklung umkehrbar oder aufhaltbar ist – die nachfolgende Diskussion drehte sich vor allem darum –, konnte und wollte Schrom keine Aussage treffen: Zu sehr ist die Veränderung der Kirchen – auch vor Ort, auch hier in Walldorf – im Fluss. Und es wird sehr an den agierenden Menschen liegen, welchen Weg die Kirchen einschlagen.

WELTMACHT CHINA -VORBILD ODER BEDROHUNG

WIE DAS RIESENREICH UNSEREN ALLTAG BEEINFLUSST

Ming Shi

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Ging das Punktsieben-Team bei der Veranstaltungsplanung vor der Sommerpause angesichts der Erfahrungen des vergangenen Jahres noch davon aus, dass Mitte September eine "normale" Präsenzveranstaltung möglich ist, musste angesichts steigender Inzidenzen und veränderter Hygieneverordnungen umdisponiert werden. Dank des Technikteams der Kirchengemeinde war die Lösung eine hybride Veranstaltung - das heisst reduzierte Besucherkapazität im Gemeindehaus bei gleichzeitiger Liveübertragung - denn auch ein voller Erfolg. Über 100 Zuschauerinnen und Zuschauer folgten dem Vortrag des Grimme-Preis Träger Ming Shi zum Thema "Weltmacht China - Vorbild oder Bedrohung?". Der Vortrag ist auf dem YouTube-Kanal EKI-Walldorf der ev. Kirchengemeinde Walldorf abrufbar. Eindrücklich verdeutlicht der Referent darin, dass es das eine China nicht gibt und zwischen welchen Dilemmata und Ambivalenzen sich auch ein Einparteienstaat immer wieder bewegt. Von den innenpolitischen Herausforderungen, über die Wirtschafts- und Außenpolitik bis hin zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie reichten die Inhalte, mit denen der Referent seinen Blick auf China darlegte. Kompromisslos wurde er dabei nur bei der Frage nach den Menschenrechten. Nachdem diese Teil der chinesischen Verfassung seien und China zudem auch die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen ratifiziert habe, kann Ming Shi hier das Verhalten der europäischen Politik und Wirtschaft häufig nicht verstehen und rief natürlich zu einem respektvollen Umgang mit China, aber genauso auch zu einer klaren Haltung und Kommunikation auf.

Den Presseartikel der Rhein-Neckar-Zeitung zur Veranstaltung finden hier.

Auf youtube kann man sich den Vortrag in voller Länge ansehen.