Der globale Countdown

Es gibt Grund zur Hoffnung auf eine friedliche Globalisierung 
Bei "Punktsieben" in Walldorf hielt Journalist Harald Schumann einen spannenden Vortrag über den "globalen Countdown"

 

"Wir haben gute Chancen auf eine gerechte Weltgesellschaft", sagte Harald Schumann, Redakteur bei der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel". Bei "Punktsieben", dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, referierte er zum Thema "Der globale Countdown – Weltweite Kooperation oder globalisierte Katastrophe?"

Zu Anfang sagte Harald Schumann, dass es vor etwa 100 Jahren bereits eine Globalisierung gegeben habe. Dieser Prozess sei gescheitert und habe in der Katastrophe der beiden Weltkriege gemündet. Dass Derartiges wieder passieren könnte, scheine nur auf den ersten Blick ausgeschlossen. Die enge wirtschaftliche Verflechtung der Nationen, die so genannte "Interdependenz", bedeute, dass sich niemand einen großen Krieg leisten könne.

"Unsere Welt ist reich", betonte Schumann. So reich, dass eigentlich niemand mehr an Nahrungsmangel oder fehlender medizinischer Versorgung sterben müsse, und damit falle die wichtigste Ursache für Konflikte weg. Es gebe keine technologischen oder natürlichen Hindernisse für einen globalen Frieden, "und es wird Zeit, eine Utopie zu entwickeln, die alle Menschen anspornt".

Das Problem sei die ungerechte Verteilung des Wohlstands, erläuterte Schumann. Die Politik scheitere seit Jahrzehnten weltweit daran, die "Ressourcen und Lebenschancen" fair zu verteilen. Das Gesamtvermögen sei von unten nach oben verteilt worden, Unternehmen erwirtschafteten gewaltige Gewinne, die Reallöhne der Arbeitnehmer hingegen stiegen nicht, soziale Spannungen seien die Folge. Mindestens eine Milliarde Menschen sei ausgegrenzt, krank, ausgehungert, ohne die geringste Chance auf ein besseres Leben. Und Verzweiflung sei der Nährboden für Fanatismus und Krieg.

Eine weitere Gefahr für den Frieden sei die Instabilität des globalen Finanzsystems. Die aktuelle Krise sei viel ernster, als man allgemein denke, und noch lange nicht ausgestanden. Die eifrige Lobbytätigkeit der Finanzindustrie, die blindlings ihre Macht zu bewahren suche, behindere die Politik bei der Umsetzung wirksamer Maßnahmen. Das "Primat der Politik" müsse wiederhergestellt werden, forderte Schumann.

Mit die größte Gefahr für eine friedliche Globalisierung sei der Klimawandel. Der könne sich, wenn die Menschheit nichts unternehme, noch beschleunigen, zu Hungersnöten und Trinkwassermangel führen, sodass gewaltige Flüchtlingsströme – etwa aus Asien, auch aus Afrika – ausgelöst würden. Diese seien politisch nicht mehr kontrollierbar, große Kriege die unausweichliche Folge.

Trotz allem sah Harald Schumann Grund zur Hoffnung, etwa angesichts vieler privater Initiativen, die der unfairen Verteilung des Wohlstandes entgegenwirkten. "Die warten nicht auf die Politik, sie werden selbst aktiv", lobte Schumann. Eine friedliche und konstruktive "Globalisierung von unten" sei bereits im Gange. Als er die große Hilfsbereitschaft skizzierte, die viele Menschen zeigten, hielten viele Zuhörer seine Utopie für greifbar und bekamen eine Gänsehaut. An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Es ging unter anderem darum, massiv Aufklärung zu betreiben, damit gerade junge Leute auf die Zukunft vorbereitet seien. Den Kirchen komme eine wichtige Rolle bei der Globalisierung zu, erklärte Harald Schumann. Sie seien gut vernetzt und könnten viele Menschen mobilisieren.

Eine Antwort, wie genau man den Finanzmarkt kontrollieren könne, hatte Schumann nicht. Man müsse eine internationale Finanzaufsicht einrichten, meinte er. Wichtig sei, dass es keine regelfreien Zonen mehr gebe. Die Grundregeln soliden Bankings müssten überall angewendet werden. Zudem müsse der Internationale Währungsfonds umstrukturiert werden, sodass er die wahren Machtverhältnisse widerspiegele und die Beteiligten "auf Augenhöhe" miteinander verhandeln könnten. Die Wichtigkeit des bürgerlichen Engagements betonte Schumann mehrfach. Man müsse die Politiker davon abhalten, faule Kompromisse einzugehen mit jenen, die am Status quo gut verdienten. Es komme auf jeden Einzelnen an: "Wir müssen endlich unseren Arsch hochkriegen, sonst ändert sich nie etwas." (seb)