Sind die USA (noch) eine imperiale Macht?

USA: Ein Volk der Paradoxien mit "Sendungsbewusstsein"

Prof. Detlef Junker vom "Heidelberg Center for American Studies" referierte bei Punktsieben über die USA als "imperiale Macht" 

"Danke für hervorragende Fragen", sagte Professor Detlef Junker bei Punktsieben, dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf am vorletzten Sonntagabend. Und das Publikum dankte dem Experten für amerikanische Außenpolitik mit kräftigem Beifall. Junker hatte in seinem Vortrag die Frage "Sind die USA (noch) eine imperiale Macht?" mit "Ja" beantwortet: Die USA waren und sind es noch immer, auch wenn sie sich selbst nicht so sehen, auch wenn sie es sich kaum mehr leisten können.
Als "Volk der Paradoxien" charakterisierte Detlef Junker die Amerikaner. Dabei stützte der Gründungsdirektor des "Heidelberg Center for American Studies" der Ruprecht-Karls-Universität sich auch auf eigene Erfahrungen: Neun Jahre hat er in den USA gelebt. Zu den Widersprüchen, die das Land prägen, gehört auch der zwischen der "Sendungsidee der Freiheit" und dem "in Mentalität und Sozialstruktur tief verwurzelten Rassismus". Der "Kriegsstaat par excellence" fühle sich der Mission verpflichtet, in der Welt für Frieden zu sorgen.
Ziele der US-Außenpolitik sind Junker zufolge Sicherheit, Freiheit (und damit die welt-weite Förderung der Demokratie) sowie ein liberal-kapitalistischer Weltmarkt. Die Zu-kunft der gesamten Welt sei von potenziell vitaler Bedeutung "und für ihre vitalen Inte-ressen ziehen die Amerikaner notfalls in den Krieg". Leider herrschten "in den Köpfen der Amerikaner übertriebene Bedrohungsvorstellungen". Das "Sendungsbewusstsein" sei genuiner Teil des amerikanischen Selbstverständnisses, so Junker. Als Punktsie-ben-Mitglied Christoph Dressler nachhakte, ob hinter den weltweiten Einsätzen der US-Truppen nicht die Gier nach Rohstoffen wie Öl stecke, verneinte der Referent und hob "gegen Marx, für Junker" hervor, dass die Berufung, Frieden zu stiften und "das Böse" zu bekämpfen, "Kern der US-Identität" sei, der "die fragmentierte Gesellschaft zusammenhält". Den Krieg gegen das Böse habe auch Präsident Barack Obama in seiner Friedensnobelpreisrede hervorgehoben.
Im Fall Deutschlands, "der größten Erfolgsgeschichte der US-Außenpolitik im 20. Jahr-hundert", habe es ja geklappt, Frieden mit Gewalt zu schaffen – einer von nur wenigen Erfolgen, aber Rückschläge hielten die USA nicht zurück. Bedenken, ihr Imperium zu überanstrengen, bremsen die USA Junker zufolge ebenfalls nicht. Das könnten auch explodierende Schulden, hohe Arbeitslosigkeit, Einkommens- und Vermögensverluste der Mehrzahl oder die desolate Infrastruktur ("Teile der USA gleichen einem Drittwelt-land") nicht. Zwar scheine der Machtanspruch der USA nun zurückgenommen, aber bisher habe er "von keinem ernst zu nehmenden Politiker" gehört, dass man den welt-weiten Einsatz für Frieden und Freiheit aufgeben wolle.
Wer das "Böse" sei, wechsle nach ganz pragmatischen Gesichtspunkten, so Junker. Aus den bösen Deutschen, guten Russen, bösen Japanern und guten Chinesen des Zweiten Weltkrieges wurden später die guten Westdeutschen, die bösen Russen, die guten Japaner und die bösen Chinesen. "Als der Kalte Krieg sich globalisierte, unter-stützten die USA Diktatoren, auch wenn die nur vorgaben, antikommunistisch und pro-amerikanisch zu sein, darunter Pol-Pot, Saddam Hussein und die Taliban."
Detlef Junker sprach auch die gegenwärtige Finanzkrise an, das "Restrisiko" der unre-gulierten und weiter wachsenden Finanzblase, das nur noch vom "Restrisiko" der Atomindustrie übertroffen werde. Auf eine mögliche Entschärfung der "ökonomischen Massenvernichtungswaffen", allen voran derivate Finanzprodukte, ging er in der späteren Fragerunde näher ein: "Es kann sein, dass Merkel einknicken muss." Die USA lehnten Stabilitätskriterien als massive Eingriffe in den Markt grundsätzlich ab. Mit einem Augenzwinkern fügte er an, dass er einen Aufsatz publizieren wolle: "America’s Last Best Chance: The German Model".
Rainer Dörlich vom Punktsieben-Team, hatte die zahlreichen Gäste eingangs begrüßt und moderierte die Fragerunde, die einen für Junker überraschenden und sichtlich erfreulichen Anspruch hatte. Da forderte der Referent schließlich scherzhaft eine Erhöhung des Honorars, die auch später in flüssiger Form, als Weinpräsent, erfolgte. Neben Christoph Dressler stellten auch Christina Eder und Mathias Pütz von Punktsieben vertiefende Fragen. So nach der Rolle der reaktionären "Tea Party"-Bewegung, der christlichen Fundamentalisten ("Evangelikale") und der anstehenden Präsidentschaftswahl. Detlef Junker wollte aber keine Prognosen über das Handeln eines Republikaners im Amt abgeben. Von der "verwahrlosten Religion" in den USA, wie es ein Gast ausdrückte, über die Rolle Chinas als mögliche konkurrierende Weltmacht bis hin zu Wahlkampffinanzierung und Lobbyismus reichte die Themen-palette. (seb)