Luther und die Juden

Schattenseiten Luthers darf man nicht vergessen

Punktsieben zum Thema „Theologische Judenfeindschaft als Geburtsfehler des Protestantismus“

Walldorf. (seb)

Stellenweise ging doch ein schockiertes Raunen durchs Publikum: Mit welch erbitterten, bösartigen Tiraden Martin Luther über Juden hergezogen war und wie er sogar das Anstecken ihrer Synagogen, die Zerstörung ihrer Häuser und ihre Vertreibung gefordert hatte, war vielen der Besucher des Diskussions- und Vortragsabends von Punktsieben in Walldorf nicht bewusst gewesen.

Über die „theologische Judenfeindschaft als Geburtsfehler des Protestantismus“ referierte Dr. Klaus Wengst (Foto: Pfeifer), evangelischer Theologe für Neues Testament und Professor emeritus an der Ruhr-Universität Bochum, im voll besetzten evangelischen Gemeindehaus. Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 wollte die Punktsieben-Gruppe nach eigenem Bekunden einen Beitrag leisten, der auch die dunklen Seiten Luthers aufgreift – quasi als Gegenpol zum allgegenwärtigen „Luther-Hype“ mit neuen Büchern, Musicals, Festivals und sogar einer Luther-Playmobilfigur, wie eingangs dargelegt wurde.

Seit der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, seit das Christentum seine Identität definiert, wird auch der Gegensatz zum Judentum hervorgehoben – unweigerlich mit der Tendenz, sich als fortschrittlicher und näher an der Wahrheit darzustellen: „Mit Luther erfuhr dies aber eine spezifisch protestantische Zuspitzung“, so Wengst. Der Reformator habe in seiner Bibelauslegung „Jesus absolut gesetzt“, alles im Alten Testament auf Jesus als Messias bezogen, Personen und Ereignisse gleichermaßen – und von da ausgehend habe Luther sich quasi „verrannt“. Wer Jesus nicht als Gottes Sohn und Messias anerkenne, verstehe nach dieser Auffassung die Bibel falsch.

1523 gab Luther noch Ratschläge zum Umgang mit Juden in einem Geist der Brüderlichkeit – jedoch wird laut dem Referenten bei genauerem Hinsehen deutlich, dass der Reformator damit allein die Absicht verfolgt, „Juden zum Christenglauben zu reizen“, so Luthers eigene Worte. Und nachdem er wenig Erfolg damit gehabt habe, Juden zu bekehren, sei er zunehmend erboster geworden. Allmählich habe Luther die Juden „als Feinde Christi, als Feinde der Heiligen Schrift“ ins Spiel gebracht, dann sogar, mit der Gleichsetzung von Jesus und Gott, alle jüdischen Lehren und Auslegungen als „eitel Gotteslästerei und Abgötterei“ bezeichnet. Zudem habe er sich allgegenwärtiger Vorurteile bedient, als Stichworte nannte Wengst Vorwürfe wie „Brunnenvergifter“, „Plünderer“ oder „Kindsmörder“. In geballter Form finden sich Luthers judenfeindliche Äußerungen in seinem Buch „Von den Juden und ihren Lügen“.

Eines war Klaus Wengst sehr wichtig: Luther dürfe nicht einfach als Kind seiner Zeit begriffen werden, das sich genau wie alle anderen damals geäußert habe. Als Beleg dafür zitierte er ein 1530 erstelltes Gutachten von Kanzleischreiber Georg Frölich aus Nürnberg. Der habe – ganz anders als Luther – gegen eine Missionierung „mit dem Schwert“ argumentiert und für Toleranz, Respekt und eine friedliche Koexistenz. Die Judenfeindlichkeit sei beileibe nicht überall verbreitet gewesen – und: „In seiner Unflätigkeit war Luther einsame Spitze.“

Er lese den wortgewaltigen Reformator nach wie vor gerne, Luther habe vieles gelungen auf den Punkt gebracht, so Wengst. Doch so viel man von Luther durchaus lernen könne, müsse man einiges auch verlernen. Seine Grenze ziehe er bei der „Absolutsetzung Christi“ und der Judenfeindlichkeit. Glücklicherweise habe sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan, dem „judenfeindlichen Potenzial“ der christlichen Überlieferung sei man sich auf evangelischer wie auch katholischer Seite bewusst geworden und sei dem entgegengetreten. „Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen, dass alles an negativem Denken und Verhalten, das sich über Jahrhunderte festgefressen hat, bald überwunden ist. Es muss sich noch viel tun.“

Im Gespräch mit Vertretern des Punktsieben-Teams, die vertiefende Fragen stellten, und dem Publikum machte Klaus Wengst klar, „dass wir Grund haben, 500 Jahre Reformation zu feiern, das finde ich gut.“ Die Schattenseiten dürfe man aber nicht vergessen. Im Rahmen des Reformationsjubiläums plane er selbst im Ruhrgebiet, wo er seit 35 Jahren wohne, gemeinsame Veranstaltungen unter anderem mit orthodoxen Juden, um die Gemeinsamkeiten hervorzuheben und ein Beispiel für eine Annäherung zu geben. „Wovon ich träume, was ich aber nicht mehr erlebe, ist, dass Juden und Christen im alltäglichen Gemeindeleben gemeinsam die Bibel lesen und voneinander und miteinander lernen. Aber die Zeit ist noch nicht reif.“